Wie
eine Birke im Sturm
Mit metallischem Knarren fiel der Riegel ins Schloss.
Jetzt stand sie drinnen, in der Zelle, die schon voll von Frauen verschiedener
Altersgruppen war.
Für die Insassen bedeutete die Neue eine Abwechslung: Alle starrten
sie an.
„Na, Vögelchen, was hast denn du ausgefressen?“, fing eine ältere
Frau mit einem süßen Lächeln an.
„Guten Tag“, sagte die Neue, nachdem sie den ersten Schock, den der
Anblick ihrer Leidensgefährtinnen bewirkte, überwunden hatte.
„Wo kann ich mich hinsetzen?“
„Ich hatte dich etwas gefragt“, sagte die Alte, jetzt ohne zu lächeln.
„Natürlich“, stimmte eine andere zu, „wir wollen doch wissen,
mit wem wir es zu tun haben.“ „Bei uns kommt nicht jede an“,
setzte eine dritte ein.
„Lasst doch, die klappt ja gleich zusammen“, sagte jemand mitleidig.
Die
Neue hatte sich an die Tür gelehnt, doch ihre Beine versagten, und langsam
rutschte sie zu Boden. Einen Moment lang fühlte sie nichts, und es war
wunderschön; dann holte die Wirklichkeit sie zurück. Ihr krankes Bein
schmerzte stark, und alles um sie herum war so entsetzlich – sie konnte
nicht einmal weinen.
Die Mitleidige erhob sich und half der Neuen auf die untere Pritsche. Da saß
sie nun und starrte vor sich hin.
Es war wohl Nacht geworden: eine nach der anderen schliefen die Frauen ein,
manche, wie die Neue, sitzend an die Wand gelehnt. Sie schnarchten, stöhnten
oder schluchzten im Traum.
„Lieber Gott, nimm mich doch bitte, bitte zu dir“, betete die Neue.
Irgendwann schlief auch sie ein.
Das Gefängnisleben nahm seinen Lauf.
„Wie
heißt du?“, fragte die Mitleidige. „Anna“, antwortete die
Neue.
„So eine schöne junge Frau wie du braucht doch nicht in den Knast
zu kommen. Was hast du gemacht?“
„Ich habe Weihnachtslieder mit deutschen Kindern und Jugendlichen gesungen.“
„Auf Deutsch?“, fragte die Alte. Als Anna das bejahte, wurde
es laut.
„Ja, dann hast du es auch verdient, in den Knast zu kommen!“ „Also
bist du eine Faschistin?“ „Du bist doch bestimmt gebildet, wie
konntest du nur so blöde sein?“
Eine junge Ukrainerin, die neben Anna gesessen hatte, stieß sie in die
Seite: „Mach, dass du mir nicht zu nahe kommst, du Faschistin!“